Montag, 18. Februar 2008

Krönender Abschluss


Der letzte Tag war der allerschönste der ganzen Reise und versöhnte mich mit manchem, was mir nicht so gefallen hat. Was mich vor allem bedrückt hatte, ist der weit verbreitete Umgang mit Frauen in vor allem ländlichen Gebieten. Sie werden vielfach nicht in erster Linie als Individuen mit Rechten gesehen. Traditionen müssen unter allen Umständen geschütz werden, und sie haben sich ihnen zu beugen, sie sind nicht umgekehrt für den Menschen da. Diese Bedrückung, diesen Zwang habe ich öfter in dem Land empfunden. Statistisch gesehen erleiden knapp 60 Prozent der Frauen familiäre Gewalt. Sie reicht von verbaler und körperlicher (auch sexueller) Gewalt bis hin zum erzwungenen Heiraten, auch von Minderjährigen. Auf diesem Hintergrund ist der türkische Prozess gegen den deutschen 17jährigen Marco, der eine 13jährige britische Touristin verführt haben soll, der blanke Hohn.

Trotzdem war es gut für mich, einen kleinen Einblick in das Land zu bekommen – es macht mich sehr dankbar, in Deutschland leben zu dürfen.

Und einen schönen Abschluss fand unsere Reise ja auch: Morgens fuhren wir wieder ins Gebirge, um ein Bergdorf zu besuchen. Hier fand ich das Ursprüngliche, das ich erhofft hatte. Zitrus- und Orangenbäume, Bananenpalmen, Granatapfelbäume, Grapefruits, Granatäpfel – überall leuchteten die Früchte. Frisch gepresste Orangen- und Granatapfelsäfte werden übrigens überall im Land an jeder Straßenecke verkauft, und letzterer schmeckt einfach großartig und ist zudem noch eine richtige Vitaminbombe.

Hühner scharrten im Misthaufen, Hunde trieben sich auf den Straßen herum und bettelten bei den Passanten um etwas Futter, Katzen lagen in der Sonne, die Bewohner saßen zusammen oder verkauften ihre allgegenwärtigen Amulette gegen „neidische Blicke“, Gewürze oder Tücher. Hier waren die meisten Häuser noch nach traditioneller Methode aus Stein und Lehm gebaut, abenteuerliche Terrassen und Balkone aus alten Zweigen und Ästen klebten am Mauerwerk.

Anschließend besichtigten wir eine etwas größere Moschee in Manavgat (wie es sich gehört, wir Frauen mit Kopftuch und alle ohne Schuhe), bevor wir auf dem gleichnamigen Fluss eine Bootsfahrt Richtung Meeresmündung unternahmen. Auf dem Deck konnten wir die strahlende Sonne des bisher heißesten Tages (23 Grad!) genießen. An einer Sandbank, die den Fluss vom Meer trennte, machten wir halt, gingen an den Strand und relaxten unter blauem Himmel oder schauten uns die obligatorischen Stände mit - ja, genau, Amuletten, Gewürzen und Tüchern an. Das Mittagessen wurde uns auf dem Bootsdeck serviert, bevor wir geruhsam zurück tuckerten. Das war wunderschön und bescherte mir echte Glücksmomente.

Zurück im Hotel erlebten wir noch einen sehr schönen Sonnenuntergang, wurden dann bereits um Mitternacht wieder vom Service geweckt, es gab Frühstück, auschecken und Transfer zum Flughafen. Bereits um 8:30 hatte uns Deutschland wieder, und gute sechs Stunden später konnte ich meinen Mann in die Arme schließen.



Perge und Aspendos



Der sechste Tag stand ganz im Zeichen der Kultur. Wir besuchten drei von insgesamt elf antiken Stätten in der Region Südanatolien: Perge, wo Paulus und Barnabas auf ihrer ersten Missionsreise gastlich aufgenommen wurden, mit ihren Ruinen einer Stadtanlage der späthellenistisch-römischen Zeit, und Aspendos, deren aufragenden Gebäude aus der römischen Blütezeit des 2. und 3. Jahrhunderts n.Chr. stammen, als Aspendos ein bedeutendes pamphylisches Handelszentrum war.

Zum Mittagessen hielten wir an einer Seldschukischen Brücke.

Die Seldschuken waren eine muslimische Fürstendynastie turkmenischer Abstammung in Mittelasien, dem Iran, Irak, und Syrien im 11. Jahrhundert. Sie waren sunnitische Muslime und brachten den Islam nach Anatolien.

An diser Stelle vielleicht ein paar Worte zur Religion in der Türkei. Nach offiziellen Statistiken sind über 92 % der türkischen Bevölkerung Muslime. Sie alle würden sagen, sie seien Muslime, aber tatsächlich werden die religiösen Handlungen – fünf Mal am Tag rituelle Waschungen mit anschließendem Gebet Richtung Mekka, freitags in der Moschee, Fastenmonat einhalten, Almosen geben (2,5 % vom Einkommen), Opfertiere schächten und eine Pilgerreise im Leben nach Mekka etc. - längst nicht von allen eingehalten. Es ist wie bei uns als „christlichem“ Land – die religiösen Feste (wie bei uns Weihnachten) werden gefeiert, aber alles andere ist vielfach sinnentleert und wird nicht so genau genommen, besonders in den Städten, wo fast dreiviertel der türkischen Bevölkerung lebt. Obwohl laut Koran Alkohol verboten ist, wird das Nationalgetränk Raki reichlich konsumiert.

Eigentlich ist seit der Gründung der türkischen Republik durch Atatürk eine strenge Trennung von Religion und Staat vorgesehen, die Realität sieht aber ganz anders aus. Die sunnitisch-islamischen Einrichtungen werden vom staatlichen Präsidium für Religionsangelegenheiten verwaltet. Das ist mit rund 800.000 Mitarbeitern eine der größten Behörden der Türkei. Es regelt die Ausbildung der etwa 100.000 Imame und Muezzine und gibt landesweit den Inhalt der zu haltenden Predigten vor. Moscheen werden allerdings meist von privaten Stiftern finanziert – ein Kaufpreis für einen Platz im Himmel.



Unser Hotel


Wieder in unserem ursprünglichen Hotel angekommen, bezogen wie neue Zimmer, diesmal mit Meerblick. Als Hotelrezeptionistin hat es mich natürlich besonders interessiert, wie das Haus geführt wird. Es hat ungefähr achthundert Zimmer, drei Restaurants, einen Wellnessbereich mit Schwimmbad, eine Riesenlobby, eine Einkaufspassage und ein Außengelände mit Schwimmbädern, Spielplätzen, Terrassen und Zugang zum Strand. Das tägliche Buffet war beeindruckend. Es gab abends immer etwa 35 kalte Vorspeisen (ich hab sie gezählt!), meistens ganz unterschiedliche Salate, dazu Suppen, Brot, Brötchen, Hackfleisch- und Käsepizza, drei bis vier warme Hauptspeisen und ein Dessertbuffet, das schier unter seiner Last zusammen zu brechen drohte.

Der Effekt bei mir war merkwürdig. Schon nach zwei Tagen hatte ich gar keinen rechten Appetit mehr. Es war mir einfach zu viel. So nahm ich nur wenig von einer oder zwei Speisen, jeden Tag was anderes, und hatte überhaupt keine Mühe, meinen Blutzucker unter Kontrolle zu halten.

Das Personal war auf reibungslose Abläufe getrimmt, aber es fehlte überall an Herz. Da lobe ich doch unser Ferienhotel. Wir dienen unseren Gästen wirklich mit Verstand und Liebe.

Am nächsten Tag standen die bereits erwähnte Schmuckfabrik und die Lederwaren auf dem Programm sowie der Volksbazaar mit Amuletten, Gewürzen, Tüchern und anderen Textilien in Antalya, der nur vom Volk der Deutschen, aber niemals von Türken besucht wird. Man muss sich wundern, wie viele große Labels sich in den bescheidenen Hütten angesiedelt haben: Hugo Boss, Chanel, Addidas, Prada, Rolex ;-). Leider alles getürkt (daher der Name!). Breiten wir also gnädiges Schweigen über diesen Tag.


Geknüpfte Schicksale

Auf der Rückfahrt durchs schneebedeckte Taurusgebirge hielten wir auf 1000 m Höhe bei einer Nomadenfamilie an, die Serdar kannte. Sie ließ uns überaus freundlich in ihre Zelte schauen und verkaufte gestrickte Socken, Häkeldeckchen und entsetzlich stinkenden Ziegenkäse aus eigener Herstellung. Alles furchtbar ärmlich und ziemlich schmutzig. Sie ziehen mit ihrer Ziegen- und Schafsherde sowie zahlreichen Hunden, einer Katze, zwei Kühen und mehreren Hühnern umher und gehören zu den nicht seßhaften Nomaden. Es gibt auch halbseßhafte (die nur im Sommer im Gebirge umherziehen und im Winter in von der türkischen Regirung bereitgehaltene Wohnungen leben) und ganzjährig seßhafte Nomaden.

Serdar meinte, Mitleid sei ganz und gar unangebracht. Für ihre Verhältnisse haben sie ein wunderbares Leben und ausreichendes Einkommen.Überhaupt erinnerte er uns beständig daran, die Türkei nicht mit deutschen Augen zu sehen und Vorurteile beiseite zu lassen. Auch im Blick auf die überaus häßliche Architektur und die Hausauffahrten und Vor“gärten“ voller Gerümpel, Abfall und Schmutz sei unser Empfinden für Schönheit unangebracht. „Schönheit ist relativ“ wurde er nicht müde zu sagen, wenn wir an den üblichen Betonbauten vorbeikamen, „Für jeden ist Schönheit etwas anderes“.

Am Nachmittag besuchten wir eine der landestypischen Teppichknüpfereien. Drei Branchen haben sehr stark mit türkischen Traditionen zu tun: Teppiche, Goldschmiedekunst und Lederwaren (letztere bedingt durch den Überfluss an geschächteten Tieren für die vielen Opferrituale).

Das Teppichknüpfen hat in der Türkei eine 3000jährige Tradition, von Nomaden, die ihre Zelte zum Schutz gegen Kälte damit auslegen, ins Land gebracht, und Serdar war sichtlich stolz darauf. Nur Frauen knüpfen Teppiche, auch heute noch, und die Knüpfereien sind ausschließlich in ländlichen Gegenden angesiedelt, weil die Familien, die Landwirtschaft betreiben, ihre Töchter in die Knüpfereien schicken für ein kleines Zusatzeinkommen (in den Städten würde sich keine Frau mehr bei den geringen Lohn dafür hergeben). Noch immer werden Frauen bevormundet und unterdrückt, „sie müssen viel schlucken“, wie Serdar meinte. All das verarbeiten sie zu Mustern und Symbolen in ihren Teppichen – wie eine Geheimsprache, die nur die Frauen kennen und die von Dorf zu Dorf, von Mutter zu Tochter weitergegeben werden. Ob sie unglücklich verliebt sind, ob sie gegen ihren Willen mit einem Mann verheiratet werden, ob sie Kinderwünsche haben, ob ihnen Gewalt angetan wurde, all das kann man in ihren Teppichen ablesen, wenn man die Sprache versteht. Da viele der türkischen Teppiche sehr fein sind, zwischen 20 x 20 bis zu 30 x 30 Knoten pro qcm, was also bis zu 9 Millionen Knoten pro qm Teppich bedeutet, ist es verständlich, dass eine Frau zuweilen in ihrem ganzen Leben nur drei oder vier Teppiche knüpft.

Der Horror kam, als wir durch die Knüpferei geführt wurden. Für die Touristen wurde das alles marketingtechnisch sehr professionell durchgeführt. Zunächst wird man in einen Raum gebracht, wo (natürlich zu Schauzwecken) einige Teppichknüpferinnen bei ihrer Arbeit zu sehen sind. Aus Achtung vor ihnen habe ich sie nicht fotografiert, obwohl wir ausdrücklich dazu ermuntert wurden. Aber es kam mir schrecklich vor, sie wie Tiere vorgeführt zu sehen.

Dann werden wir in einen mit niedrigen Sitzbänken und Teppichen ausgelegten Vorführraum gebracht, wo uns Tee und Raki serviert wird und dann mindestens 12 Leute während der Erklärungen des Firmenchefs eine Art Vorführchoreographie ablaufen lassen, indem sie uns nacheinander oder gleichzeitig effektvoll die Teppiche aufrollen, drehen, wirbeln und wieder einrollen. Danach stürzen die Verkäufer auf die Reisenden zu: pro Ehepaar oder Einzelreisenden kommt ein geschulter Verkäufer, der sich einem auf die Fersen heftet und durch die Verkaufsräume lotst (die man natürlich alle passieren muss, bevor man zum Ausgang kommt. Es gibt also kein Entrinnen). Geschickte Fragen sollen einen auf einen Teppichkauf festnageln. Es beginnt harmlos mit der Frage: „Wie sind Sie zu Hause eingerichtet? Rustikal oder modern oder antik?“ Natürlich gibt man als höflicher Mensch eine Antwort. Die nächste Frage „Welche Farbe mögen Sie denn gerne?“ bringt einen direkt zu dem nächsten Teppich, der ja „absolut passend“ für einen sei. Keine Frage, die man einfach nur mit ja oder nein beantworten kann, alles Fragen, die einen immer mehr in die Enge treiben. „Ich will keinen Teppich kaufen“ lassen die Verkäufer nicht gelten, “Ich habe kein Geld dafür“ schon gar nicht. Der Kaufunwillige hastet dann immer schneller durch die Räume und würdigt bald den schönen Teppichen keines Blickes mehr, weil das als Kaufinteresse ausgelegt wird, und will nur noch diesem Martyrium entkommen. Als man endlich erleichtert meint, durch den Ausgang zu schreiten, findet man sich in einer Teestube mit Souvenierverkauf wieder, wo man aus lauter schlechtem Gewissen, keinen Teppich gekauft zu haben, wenigstens eine kleine gewebte Tasche oder ein anderes Mitbringsel ersteht oder doch zumindest einen Tee oder Kaffee bestellt.

Diese Verkaufsstrategie wiederholte sich in der Goldschmiedefabrik und in der Ledermanufaltur am kommenden Tag. Echt ätzend. Diese aufdringliche und zum Teil unverschämte Art, gerade auch in den Bazaren, hat mich echt abgeschreckt. So gerne hätte ich mir die Sachen in Ruhe angeschaut, vielleicht hätte ich dann auch etwas gekauft (natürlich nicht eine Goldkette für € 1200,-). Aber so war mir das Vergnügen richtig gründlich verdorben. Und ich frage mich, ob diese türkische Verkaufsstrategie überhaupt aufgeht. Bei mir jedenfalls nicht. Ich merke an dieser Stelle wieder, dass mein Herz nicht für die Türkei schlägt. Aber es klopft zumindest für die vielen türkischen Frauen, die ihre Sehnsüchte, Träume und Tränen in Teppiche knüpfen müssen. Ihnen gilt mein Respekt.


Serdar

Am nächsten Tag brachen wir zu einem zweitägigen Ausflug in das Hochland von Anatolien auf, vorbei an dem Salzsee Acygöl, zu den Kalksinterterrassen in Pamukkale – einer der touristischen Höhepunkte der Reise. Diese Sinterterrassen sind über Jahrtausende durch kalkhaltige Thermalquellen entstanden und stehen auf der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO.

Gleich nebenan liegen die Überreste der antiken Stadt Hierapolis (griechischen Ursprungs) mit ihren Thermalbädern, Brunnen, Theatern und Friedhof. Die Türkei als „Durchgangsland“ vom Orient zum Okzident und umgekehrt hat ja ein ausgesprochen vielfältiges kulturelles Erbe vorzuweisen.

Das Land wurde u. a. von kriegsfreudigen Nomadenvölkern aus Mittelasien besiedelt. Die Kultur der heutigen Türkei ist eine Verschmelzung ganz verschiedener Kulturen. Dazu gehören nicht nur die alttürkische Nomadenkultur Zentralasiens und Sibiriens, sondern auch die Kultur im osmanischen Reich mit ihren byzantinischen, persischen, arabischen, kaukasischen und kurdischen Einflüssen sowie die starke europäische Richtung durch die Griechen und Römer.

Heute kann das Land 27 verschiedene ethnische Gruppen nachweisen, was das Zusammenleben natürlich nicht einfach macht. Wir kennen den Konflikt zwischen Türken und Kurden, aber es gibt in Wirklichkeit viel mehr.

Das alles wurde uns ausführlich von unserem kundigen türkischen Reiseführer Serdar nahe gebracht. Ein sehr interessanter Mensch mit für einen Türken untypischem Aussehen: hellgraue Augen, glatt rasiert, dazu hochintelligent und mit einem sarkastischen Witz ausgestattet. Man muss wissen, dass türkische Reiseführer ausschließlich vom Staat ausgebildet werden und ihre Lizenz erhalten. Um die Zulassung zu der Prüfung zu bekommen, muss man ein abgeschlossenes Hochschulstudium nachweisen und sich dann jedes Jahr erneut einer Prüfung über den aktuellen Wissensstand unterziehen.

Unser Reiseleiter Serdar hatte sechs Jahre Elektrotechnik und anschließend vier Jahre Germanistik studiert und widmet sich seit 20 Jahren der Leitung von Touristen. Das erklärt sicher seinen Hang zum Zynismus, den er häufiger an den Tag legte. Ich schätzte aber an ihm, dass er so unverblümt ehrlich war. Er konnte gut austeilen – sowohl in Richtung Touristen als auch gegen seine Landsleute. Wenn er schlechter Laune war, merkte man ihm das an. Wenn er aber Spaß hatte, auch. Ich bin sehr froh, dass unsere Gruppe ihm kaum einen Anlass zur Kritik bot, alle waren sehr diszipliniert, aufmerksam und pünktlich und legten kein peinliches typisches Touristengehabe an den Tag. So war er auch bereit, mal Privates über den Gebrauch, aber auch Nichtgebrauch der landestypischen Sitten und Gebräuche in seiner eigenen Familie zu erzählen. Er stammt aus dem europäischen Teil der Türkei, ist in Istanbul auf eine deutsche Schule gegangen und eher liberal erzogen worden. Beispielsweise hat sein Vater die landestypische ehrerbietende Begrüßungshandlung gegenüber Älteren (Handrücken küssen und an die Stirn führen) seinem Sohn verweigert. Seine Mutter und seine Schwester trugen kein Kopftuch. Auf der anderen Seite wird das Zuckerfest nach dem Fastenmonat Rammazan sehr traditionell mit der ganzen Familie gefeiert, und obwohl Serdar neun Monate im Jahr mit Reisegruppen unterwegs ist, wird er zu diesem Fest erwartet. Entschuldigungen, auch beruflicher Art, werden nicht geduldet.

Serdar konnte sehr lebhaft und anschaulich erzählen, seine umfangreichen Kenntnisse nicht nur über die Türkei, sondern auch über politische, kulturelle und wirtschaftliche Verhältnisse in Deutschland und sein Allgemeinwissen waren unglaublich.

Beispiel: Als wir bei einer Tour bei den Überresten der Stadt Laodizea verbei kamen, fragte er: „Wer hat schon mal was von Laodizea gehört?“

Unwissendes Kopfschütteln.

„Schon mal was von den Sendschreiben des Johannnes gehört?“

Ratloses Kopfschütteln.

Darauf sarkastisch: „ Schon mal was von einem Buch namens Bibel gehört?“

Verunsichertes Lachen.

Ich aber hätte heulen können. Unser moslemischer Reiseleiter zitiert auswendig mehrere Verse aus der Offenbarung: „ ...Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, will ich dich ausspeien aus meinem Munde ...“

Deutschland ist wahrhaftig Missionsland. Wir sind anscheinend nicht nur wenig christianisiert, sondern auch noch ungebildet.

Übernachtet haben wir dann in einem Thermalhotel in der Nähe der Kalkterassen.

Warum in die Türkei?

Meine Mutter hatte eine Reader's Digest-Reise für zwei Personen „gewonnen“: Hin- und Rückflug mit Übernachtung im Hotel/Frühstück an der „Türkischen Riviera“ sowie einige Ausflüge unter kundiger Reiseleitung – umsonst. Bezahlen musste man „nur noch“ Flughafengebühren, Halbpension und ein zusätzliches Ausflugsprogramm - inklusive „Besichtigungen“ einer Teppichknüpferei, einer Goldschmiedefabrik sowie einer Lederwarenmanufaktur – was der Dreh- und Angelpunkt und gleichzeitig der Haken der ganzen Angelegenheit ist: Ziel ist natürlich, die Ware an den Tourist zu bringen – doch davon später mehr.

Schon einmal hatte meine Mutter eine ähnliche Reise mitgemacht, und meine Schwester hatte sie begleitet. Diesmal reiste ich mit ihr. Die Türkei wäre bei weitem nicht mein erstes Urlaubsziel gewesen, wenn ich es mir hätte aussuchen dürfen. Ich muss gestehen, dass ich gewisse Vorbehalte und klischeehafte Vorstellungen von dem Land und seinen Bewohnern hatte. Ich hatte nun wirklich vor, meine Vorurteile revidieren zu lassen ... Doch es ist mir nicht recht gelungen. Aber ich habe trotzdem ausgesprochen interessante Hintergrundinformationen und erweitertes Wissen über die Türkei bekommen, die mir ein besseres Verständnis ermöglicht haben. Das möchte ich nicht missen.

Da die Flüge von Hannover aus ausgebucht waren, flogen wir von Dresden aus (mit 95 % Sachsen, Rest ein paar Berliner und Brandenburger) - um 9:20 h, was bedeutete, dass wir um Mitternacht aufbrechen und mit dem Auto in der Nacht sechs Stunden durchfahren mussten, um rechtzeitig da zu sein – ein hartes Stück Arbeit.


Der Flug war wunderschön. Ich hatte einen Fensterplatz erwischt und genoss das prickelnde Gefühl, wenn sich die Motoren schneller drehen, man auf die Sitze gedrückt wird, die Maschine abhebt und rasch an Höhe gewinnt. Der schönste Moment ist, wenn die Flugzeugnase durch die wirbelnde Zuckerwatte stößt – ein Augenblick lang auf Augenhöhe mit den Wolken – und plötzlich ist da nur noch strahlendes Blau und Sonne.


Beim Anflug auf unseren Zielflughafen Antalya konnte man die schneebedeckten Berge des Taurus-Gebirges sehen. Wir wurden abgeholt, und da unser ursprünglich vorgesehenes Hotel versehentlich überbucht war, wurde die Gruppe geteilt, was pures Glück für uns war, denn wir hatten mit 30 anderen Reisenden das Vorrecht, in einem wesentlich besseren 5*****-Hotel, etwa 1,5 Stunden von Antalya entfernt, unterzukommen – Luxus pur.


Der nächste Morgen begann mit einer Aufregung: Mutter suchte vergeblich ihre Hörgeräte, die sie doch am Abend vorher bestimmt auf das Nachtschränkchen gelegt hatte. Ich half ihr, alles abzusuchen: alle Ablageflächen, das Bett, den Fußboden, das Badezimmer, Handtasche und Jackentaschen. Nichts. Da der Bus wartete, mussten wir erst mal ohne losziehen und die weitere Suche auf den Abend verlegen. Meine Mutter erzählte mir später, dass sie den Tag gar nicht hatte genießen können und immer nur Stoßgebete zu Himmel geschickt hatte, dass Gott uns zeigen möge, wo die Hörgeräte seien. Gott hat ihre Gebete erhört – auf so kuriose Weise, dass wir den ganzen Abend etwas zum Lachen hatten. Nach unserer Tour mit Stadtrundfahrt durch Alanya, Mittagessen in einem urigen Resaturant und Besuch einer schönen Tropfsteinhöhle suchten wir also im Hotelzimmer erneut alles ergebnislos ab. Dann begann ich, den Koffer auszupacken und alles um und um zu drehen. Dabei packte ich auch ein paar Schuhe aus, die in einer Plastiktüte eingewickelt waren. Ich griff in die Schuhe: Und tatsächlich – in je einem Schuh befand sich ein Hörgerät! Was war passiert? Wir rekonstruierten den Ablauf: Meine Mutter hatte tatsächlich die Hörgeräte auf den Nachttisch gelegt, danach eine Jacke darauf gelegt, diese später wieder aufgenommen und dadurch die Geräte von ihr unbemerkt runtergefegt – in die auf dem Boden stehenden Schuhe hinein, schön verteilt in jeden eines. Später entschied sie, dass diese Schuhe zu unbequem seien, packte sie ein und wählte ein Paar anderes für den Ausflug. Dass sich vermisste Gegenstände in Schuhen wiederfinden können, hatte ich schon einmal vor weit über 20 Jahren erlebt: Sebastian hatte im Sommer als Kleinkind einmal einen Schlüsselbund in einen Winterstiefel fallen lassen, wo wir ihn dann erst ein halbes Jahr später wiederfanden. Tatsächlich hatte ich mich daran erinnert, als ich in Mutters Schuhen suchte, und ich glaube wirklich, dass Gott an dieser Stelle mein Erinnerungsvermögen aktiviert hat.



Samstag, 16. Februar 2008

In der Türkei gibt's was auf's Auge ...

... aber damit meine ich an dieser Stelle nicht die unguten Seiten des Patriarchats im Lande, sondern das, was man hier zu sehen bekommt. Ich habe sehr viel gesehen, was mich beschäftigt - Interessantes, Wunderschönes, aber auch viel wirklich Häßliches und Bedrückendes. Von meinen Eindrücken werde ich in den nächsten posts berichten.
Zur Erklärung meines Blognamens: Mein hebräischer Vorname Susanne heißt auf Deutsch "die Lilie" und auf Türkisch eben "süsen".