Montag, 18. Februar 2008

Serdar

Am nächsten Tag brachen wir zu einem zweitägigen Ausflug in das Hochland von Anatolien auf, vorbei an dem Salzsee Acygöl, zu den Kalksinterterrassen in Pamukkale – einer der touristischen Höhepunkte der Reise. Diese Sinterterrassen sind über Jahrtausende durch kalkhaltige Thermalquellen entstanden und stehen auf der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO.

Gleich nebenan liegen die Überreste der antiken Stadt Hierapolis (griechischen Ursprungs) mit ihren Thermalbädern, Brunnen, Theatern und Friedhof. Die Türkei als „Durchgangsland“ vom Orient zum Okzident und umgekehrt hat ja ein ausgesprochen vielfältiges kulturelles Erbe vorzuweisen.

Das Land wurde u. a. von kriegsfreudigen Nomadenvölkern aus Mittelasien besiedelt. Die Kultur der heutigen Türkei ist eine Verschmelzung ganz verschiedener Kulturen. Dazu gehören nicht nur die alttürkische Nomadenkultur Zentralasiens und Sibiriens, sondern auch die Kultur im osmanischen Reich mit ihren byzantinischen, persischen, arabischen, kaukasischen und kurdischen Einflüssen sowie die starke europäische Richtung durch die Griechen und Römer.

Heute kann das Land 27 verschiedene ethnische Gruppen nachweisen, was das Zusammenleben natürlich nicht einfach macht. Wir kennen den Konflikt zwischen Türken und Kurden, aber es gibt in Wirklichkeit viel mehr.

Das alles wurde uns ausführlich von unserem kundigen türkischen Reiseführer Serdar nahe gebracht. Ein sehr interessanter Mensch mit für einen Türken untypischem Aussehen: hellgraue Augen, glatt rasiert, dazu hochintelligent und mit einem sarkastischen Witz ausgestattet. Man muss wissen, dass türkische Reiseführer ausschließlich vom Staat ausgebildet werden und ihre Lizenz erhalten. Um die Zulassung zu der Prüfung zu bekommen, muss man ein abgeschlossenes Hochschulstudium nachweisen und sich dann jedes Jahr erneut einer Prüfung über den aktuellen Wissensstand unterziehen.

Unser Reiseleiter Serdar hatte sechs Jahre Elektrotechnik und anschließend vier Jahre Germanistik studiert und widmet sich seit 20 Jahren der Leitung von Touristen. Das erklärt sicher seinen Hang zum Zynismus, den er häufiger an den Tag legte. Ich schätzte aber an ihm, dass er so unverblümt ehrlich war. Er konnte gut austeilen – sowohl in Richtung Touristen als auch gegen seine Landsleute. Wenn er schlechter Laune war, merkte man ihm das an. Wenn er aber Spaß hatte, auch. Ich bin sehr froh, dass unsere Gruppe ihm kaum einen Anlass zur Kritik bot, alle waren sehr diszipliniert, aufmerksam und pünktlich und legten kein peinliches typisches Touristengehabe an den Tag. So war er auch bereit, mal Privates über den Gebrauch, aber auch Nichtgebrauch der landestypischen Sitten und Gebräuche in seiner eigenen Familie zu erzählen. Er stammt aus dem europäischen Teil der Türkei, ist in Istanbul auf eine deutsche Schule gegangen und eher liberal erzogen worden. Beispielsweise hat sein Vater die landestypische ehrerbietende Begrüßungshandlung gegenüber Älteren (Handrücken küssen und an die Stirn führen) seinem Sohn verweigert. Seine Mutter und seine Schwester trugen kein Kopftuch. Auf der anderen Seite wird das Zuckerfest nach dem Fastenmonat Rammazan sehr traditionell mit der ganzen Familie gefeiert, und obwohl Serdar neun Monate im Jahr mit Reisegruppen unterwegs ist, wird er zu diesem Fest erwartet. Entschuldigungen, auch beruflicher Art, werden nicht geduldet.

Serdar konnte sehr lebhaft und anschaulich erzählen, seine umfangreichen Kenntnisse nicht nur über die Türkei, sondern auch über politische, kulturelle und wirtschaftliche Verhältnisse in Deutschland und sein Allgemeinwissen waren unglaublich.

Beispiel: Als wir bei einer Tour bei den Überresten der Stadt Laodizea verbei kamen, fragte er: „Wer hat schon mal was von Laodizea gehört?“

Unwissendes Kopfschütteln.

„Schon mal was von den Sendschreiben des Johannnes gehört?“

Ratloses Kopfschütteln.

Darauf sarkastisch: „ Schon mal was von einem Buch namens Bibel gehört?“

Verunsichertes Lachen.

Ich aber hätte heulen können. Unser moslemischer Reiseleiter zitiert auswendig mehrere Verse aus der Offenbarung: „ ...Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, will ich dich ausspeien aus meinem Munde ...“

Deutschland ist wahrhaftig Missionsland. Wir sind anscheinend nicht nur wenig christianisiert, sondern auch noch ungebildet.

Übernachtet haben wir dann in einem Thermalhotel in der Nähe der Kalkterassen.

1 Kommentar:

Talira hat gesagt…

man muss vielleicht dazu sagen, dass deine Reisegruppe aus OSTdeutschen bestand, die haben in ihrer Kindheit nicht soviel vom christlichen Glauben mitbekommen... :-)

Übrigens wirklich ein toller Reisebericht!