Montag, 18. Februar 2008

Geknüpfte Schicksale

Auf der Rückfahrt durchs schneebedeckte Taurusgebirge hielten wir auf 1000 m Höhe bei einer Nomadenfamilie an, die Serdar kannte. Sie ließ uns überaus freundlich in ihre Zelte schauen und verkaufte gestrickte Socken, Häkeldeckchen und entsetzlich stinkenden Ziegenkäse aus eigener Herstellung. Alles furchtbar ärmlich und ziemlich schmutzig. Sie ziehen mit ihrer Ziegen- und Schafsherde sowie zahlreichen Hunden, einer Katze, zwei Kühen und mehreren Hühnern umher und gehören zu den nicht seßhaften Nomaden. Es gibt auch halbseßhafte (die nur im Sommer im Gebirge umherziehen und im Winter in von der türkischen Regirung bereitgehaltene Wohnungen leben) und ganzjährig seßhafte Nomaden.

Serdar meinte, Mitleid sei ganz und gar unangebracht. Für ihre Verhältnisse haben sie ein wunderbares Leben und ausreichendes Einkommen.Überhaupt erinnerte er uns beständig daran, die Türkei nicht mit deutschen Augen zu sehen und Vorurteile beiseite zu lassen. Auch im Blick auf die überaus häßliche Architektur und die Hausauffahrten und Vor“gärten“ voller Gerümpel, Abfall und Schmutz sei unser Empfinden für Schönheit unangebracht. „Schönheit ist relativ“ wurde er nicht müde zu sagen, wenn wir an den üblichen Betonbauten vorbeikamen, „Für jeden ist Schönheit etwas anderes“.

Am Nachmittag besuchten wir eine der landestypischen Teppichknüpfereien. Drei Branchen haben sehr stark mit türkischen Traditionen zu tun: Teppiche, Goldschmiedekunst und Lederwaren (letztere bedingt durch den Überfluss an geschächteten Tieren für die vielen Opferrituale).

Das Teppichknüpfen hat in der Türkei eine 3000jährige Tradition, von Nomaden, die ihre Zelte zum Schutz gegen Kälte damit auslegen, ins Land gebracht, und Serdar war sichtlich stolz darauf. Nur Frauen knüpfen Teppiche, auch heute noch, und die Knüpfereien sind ausschließlich in ländlichen Gegenden angesiedelt, weil die Familien, die Landwirtschaft betreiben, ihre Töchter in die Knüpfereien schicken für ein kleines Zusatzeinkommen (in den Städten würde sich keine Frau mehr bei den geringen Lohn dafür hergeben). Noch immer werden Frauen bevormundet und unterdrückt, „sie müssen viel schlucken“, wie Serdar meinte. All das verarbeiten sie zu Mustern und Symbolen in ihren Teppichen – wie eine Geheimsprache, die nur die Frauen kennen und die von Dorf zu Dorf, von Mutter zu Tochter weitergegeben werden. Ob sie unglücklich verliebt sind, ob sie gegen ihren Willen mit einem Mann verheiratet werden, ob sie Kinderwünsche haben, ob ihnen Gewalt angetan wurde, all das kann man in ihren Teppichen ablesen, wenn man die Sprache versteht. Da viele der türkischen Teppiche sehr fein sind, zwischen 20 x 20 bis zu 30 x 30 Knoten pro qcm, was also bis zu 9 Millionen Knoten pro qm Teppich bedeutet, ist es verständlich, dass eine Frau zuweilen in ihrem ganzen Leben nur drei oder vier Teppiche knüpft.

Der Horror kam, als wir durch die Knüpferei geführt wurden. Für die Touristen wurde das alles marketingtechnisch sehr professionell durchgeführt. Zunächst wird man in einen Raum gebracht, wo (natürlich zu Schauzwecken) einige Teppichknüpferinnen bei ihrer Arbeit zu sehen sind. Aus Achtung vor ihnen habe ich sie nicht fotografiert, obwohl wir ausdrücklich dazu ermuntert wurden. Aber es kam mir schrecklich vor, sie wie Tiere vorgeführt zu sehen.

Dann werden wir in einen mit niedrigen Sitzbänken und Teppichen ausgelegten Vorführraum gebracht, wo uns Tee und Raki serviert wird und dann mindestens 12 Leute während der Erklärungen des Firmenchefs eine Art Vorführchoreographie ablaufen lassen, indem sie uns nacheinander oder gleichzeitig effektvoll die Teppiche aufrollen, drehen, wirbeln und wieder einrollen. Danach stürzen die Verkäufer auf die Reisenden zu: pro Ehepaar oder Einzelreisenden kommt ein geschulter Verkäufer, der sich einem auf die Fersen heftet und durch die Verkaufsräume lotst (die man natürlich alle passieren muss, bevor man zum Ausgang kommt. Es gibt also kein Entrinnen). Geschickte Fragen sollen einen auf einen Teppichkauf festnageln. Es beginnt harmlos mit der Frage: „Wie sind Sie zu Hause eingerichtet? Rustikal oder modern oder antik?“ Natürlich gibt man als höflicher Mensch eine Antwort. Die nächste Frage „Welche Farbe mögen Sie denn gerne?“ bringt einen direkt zu dem nächsten Teppich, der ja „absolut passend“ für einen sei. Keine Frage, die man einfach nur mit ja oder nein beantworten kann, alles Fragen, die einen immer mehr in die Enge treiben. „Ich will keinen Teppich kaufen“ lassen die Verkäufer nicht gelten, “Ich habe kein Geld dafür“ schon gar nicht. Der Kaufunwillige hastet dann immer schneller durch die Räume und würdigt bald den schönen Teppichen keines Blickes mehr, weil das als Kaufinteresse ausgelegt wird, und will nur noch diesem Martyrium entkommen. Als man endlich erleichtert meint, durch den Ausgang zu schreiten, findet man sich in einer Teestube mit Souvenierverkauf wieder, wo man aus lauter schlechtem Gewissen, keinen Teppich gekauft zu haben, wenigstens eine kleine gewebte Tasche oder ein anderes Mitbringsel ersteht oder doch zumindest einen Tee oder Kaffee bestellt.

Diese Verkaufsstrategie wiederholte sich in der Goldschmiedefabrik und in der Ledermanufaltur am kommenden Tag. Echt ätzend. Diese aufdringliche und zum Teil unverschämte Art, gerade auch in den Bazaren, hat mich echt abgeschreckt. So gerne hätte ich mir die Sachen in Ruhe angeschaut, vielleicht hätte ich dann auch etwas gekauft (natürlich nicht eine Goldkette für € 1200,-). Aber so war mir das Vergnügen richtig gründlich verdorben. Und ich frage mich, ob diese türkische Verkaufsstrategie überhaupt aufgeht. Bei mir jedenfalls nicht. Ich merke an dieser Stelle wieder, dass mein Herz nicht für die Türkei schlägt. Aber es klopft zumindest für die vielen türkischen Frauen, die ihre Sehnsüchte, Träume und Tränen in Teppiche knüpfen müssen. Ihnen gilt mein Respekt.


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